Prolog
TONY – so heißt er nicht – KRATS
➳ »Deine Pfanne ist nicht heiß, die ist Lava!«
Mit Trishas Wuttirade im Ohr sortiere ich meine bescheidene Pistolensammlung auf die Matratze meiner Pritsche. Eine Heckler & Koch HK45, Magnum Dessert Eagle, Beretta 92, Sig Sauer P226 und bald hoffentlich auch eine Glock 19. Allesamt so legal wie ich.
»Also machst du es?«, frage ich und entscheide mich für die Magnum. Ich mag, dass sie so schwer in der Hand liegt wie mein alter Einhänder.
»Nein!«
Fassungslosigkeit übermannt mich. »Warum nicht?«, rufe ich zurück. Unsicher, ob ich richtig höre, justiere ich das Headset nach. Nur ein Ohrstecker, aber bereits der fühlt sich wie ein juckender Fremdkörper an. Wie halten die Menschen in dieser Dimension In-Ears aus? Haben die Hornhäute in den Ohren?
»Weil ich nicht verhaftet werden will!«
»Warum solltest du?« Damit richte ich mich aus der Hocke auf und rolle mit einem unterdrückten Ächzen mit den Schultern. Meine Waffen und ich schlafen seit Wochen zusammen und mittlerweile killt die Liege nicht nur meinen Nacken. Schade, dass ich keinen hier in die Minus 2 lassen kann, ich hätte gern ein echtes Bett. Aufgebaut natürlich, denn allein dieses Gerippe aus dem Anglerladen hat mich zwei Stunden Aufbauzeit gekostet. Das mache ich nie wieder.
Trishas Stöhnen in meinem Ohr wird dunkler. »Junge!«, schimpft sie gereizt. »Gerichtsbescheide fälschen, um damit bewaffneten Personenschutz zu engagieren, fällt irgendwann irgendwem auf. Zur Not der Security mit der Waffe. Nimm es hin, dass wir nicht in Tijuana sind und selbst die Polizei unbewaffnet rumläuft!«
»Das ist doch scheiße!« Frustriert ziele ich mit der Mündung gen nackten Beton. Nicht ganz nackt: Staub und Tausende leere Projektilhülsen zieren die 15 mal 20 Meter gleißend beleuchtete Trostlosigkeit. Die zweite Zierde des Raums sind die Einschusslöcher an den unverputzten Wänden. Geifernde, kleine Stinkefinger, die meine wachsende Verzweiflung zu mir zurückspiegeln. Verdammt, Mann! Ich hoffte wirklich, ab Montag ein Problem weniger zu haben, und nun kommt mir Trisha mit Einwänden! »Ich brauche Entlastung!«
»Dann buch dir nen Flug nach Malle!«
Ich verdrehe die Augen. Keine Ahnung, was Malle ist, aber bevor ich mit Nora gemeinsam in eine fliegende Konservenbüchse steige, lecke ich den Boden sauber. Hier unten kommt natürlich auch keine Putzfrau rein.
»Die Aufgabe ist, Personenschutz mit Handfeuerwaffen zu organisieren. Großkaliber«, erneuere ich meine Bestellung. Es muss irgendeinen Weg geben. Bis jetzt ergaben allerdings sämtliche Recherchen, dass meine Dame dafür ein Urteil eines Richters benötigt, dass sie einer stark gefährdeten Personengruppe angehört. Das tut sie natürlich. Nur leider kann ich den Lomen dieser Dimension schlecht erklären warum.
Trisha schnaubt mir ein ironisches »Okay, ist notiert« ins Ohr.
Entnervt hocke ich mich wieder vor mein Hassbett und entscheide mich doch für die große Prise Übungsmunition. Vielleicht nicht der beste Entschluss, mit latenten Verspannungen Schießübungen zu starten, aber wenn ich frustriert bin, muss ich was kaputt machen. Da es Nora auffällt, wenn das ich selbst bin, zerschieße ich halt meinen Keller. »Es gibt immer Wege!«, beharre ich und wiege die Patronen in der Hand. Niemals vertraue ich blind dem Chinesen, von dem ich sie habe, dass die im blauen Karton nicht doch die Echten sind.
»Gleiche Geschichte wie mit der Starstreak«, gibt Trisha gelassen zurück, meint die Flugabwehrrakete. Allein dieser knarzig-zirpende Tonfall und das Gefühl, dass sich die Sache damit für sie erledigt hat, nerven mich, weshalb ich länger als sonst benötige, um die Munition einzusetzen. »Du kannst dir nicht alles kaufen. Auf manche Anschaffungen reagieren die Behörden echt sensibel.«
Wie meine Waffensammlung? Das liegt mir böse auf der Zunge, aber ich schlucke es hinunter. Das ist der Deal: Sie will nicht alles wissen, ich muss nicht alles erzählen. Doch jetzt in diesem Moment hadere ich damit, denn sie hat immer noch nicht begriffen, dass ich bei dieser einen Sache keine Abstriche mache: Sicherheit ist einfach wichtig, scheiß auf Behörden. Ich meine, natürlich vermeide ich, mit Handfeuerwaffen herumzulaufen, weil in dieser Welt sogar gescheite Messer verboten sind. Aber warum die Weden hier nur mit Schlagstöckchen herumtanzen, während die Gangster ihre Büchsen vom Dealer nebenan beziehen, erschließt sich mir seit den zwei Jahren meiner stillen Teilhabe nicht. So einen Irrsinn würde es bei uns nicht geben, bei allen Problemen, die wir sonst haben.
Mit flauem Gefühl denke ich an den Käfig in dem anderen versteckten Raum direkt neben der Wand, an der ich stehe. Der Hauptgrund, weshalb Nora diese Etage niemals betreten wird. Meinen Ahnen sei Dank überlässt sie mir diese Männerzone kommentarlos. Vielleicht weil sie sich die Räumlichkeiten ein bisschen wohnlicher ausmalt, als sie sind. Vielleicht weil ich sie in meinen Erzählungen ein bisschen ausgeschmückt habe.
»Es gibt immer Wege«, beharre ich und ziele auf ein aufgemaltes Kreuz an der malträtierten Wand gegenüber. Auch dieses frustriert mich, denn ich hätte gern eine vernünftige Schießetage, eventuell in der 2, da ist noch Platz. Leider ein ähnlich pikantes Projekt wie der Gerichtsbescheid, zumal die Handwerker seit Noras Einzug nicht nur das obligatorische Zugangsverbot zum Keller, sondern auch allen anderen Geschossen haben. Außer meiner Haushälterin kommt mir niemand Fremdes ins Haus, erst recht niemand mit mehr als 150 Pfund Kampfgewicht. Die letzten Soden dieser Dimension mussten ein Baugerüst an der Dachterrasse nutzen, um dort zu arbeiten.
»Nicht für alles gibt es Wege, und das weißt du«, schnarrt Trisha. »Hast du es ihr mittlerweile gesagt?«
Nur haarscharf drücke ich nicht ab, sichere. Patricia Dray ist keine Freundin, weiß aber von Nora und mir. Und kennt mich seit zwei Jahren – seit der Woche, in der sich alles für mich veränderte. Daher ahne ich, auf welche der hundert Dinge, die ich meiner Dame nicht gesagt habe, sie abzielt.
»Nein«, brumme ich absichtlich in einem Sache-erledigt-Tonfall, mit dem ich mir selbst weitere Gedanken an damals verbiete. Ich weiß, weshalb ich sie verdränge: Weil sie eine Abwärtsspirale an Verzweiflung in Gang bringen, aus der ich schwer wieder rauskomme. Seit Noras Auftauchen bin ich froh, dass es mich damals nicht verschluckt hat.
Leider gehört mein IT-Experte zu der Handvoll Leute, die den Schneid besitzen, meine Anordnungen zu übergehen: »Gut so. Bedeutet, dass du weißt, wo die Reise hingeht.«
Vor meinem inneren Auge ziehe ich das Handy aus der Gesäßtasche und feuere die Magnum direkt neben dem Mikrofon ab. Sehe der Übertragungstechnik dabei zu, wie sie Trisha die Gehörmuschel wegpustet. Aber auch diesen Drang atme ich haarscharf weg. Das Problem ist, dass ich weiß, dass sie recht hat. Sie hat verdammt noch mal recht, obgleich sie keine Ahnung hat, wie tief ich wirklich in der Scheiße stecke und wovon genau Nora weiß. Trisha denkt lediglich, ein dunkler Zufall hätte mich in England ausgerotzt und festgeklebt. Mit einem Haufen Diamanten, fehlenden Ausweisdokumenten und der irren Mission, Kunstschmuggler aufzuspüren, die eigentlich keine sind. Letzteres müsste sie längst gecheckt haben. Dabei ist das nicht mal die Hälfte. Das ist quasi der Zuckerguss auf einem Haufen Scheiße, der mein Leben ist.
»Wie sehr willst du mir auf den Sack gehen? So von 99 bis 100?«, brumme ich dunkel, meine damit nicht nur Trisha, sondern ebenso die Erinnerung an helle Plastikwolken und durchdringendes Piepsen, die sich durch ihre Ermahnung an den Rand meines Bewusstseins frisst. Das flüstert mir, dass ich ein Arsch bin. Dabei weiß ich das auch so, dazu muss ich nicht an die dunkelste Stunde meines Lebens erinnert werden, die es noch zehnmal schlimmer macht.
Um die Gedanken zu verjagen, konzentriere ich mich auf die Waffe in meiner Hand. Ein hübsches Stück.
»Rede nicht so mit mir. Ich habe versprochen, die fürsorgliche böse Spielverderberin zu sein. Ich halte mein Versprechen.«
Ich entsichere.
»Außerdem war nicht abgemacht, dass ich auf zwei aufpassen soll«, murrt sie. »Du reichst mir.«
»Noch was?«, knurre ich, ziehe einen Edding aus meiner Gesäßtasche und male weitere Kreuze an die Wand. Neun Stück sind es gleich. So viele, wie das Magazin hergibt. Wenn ich nicht weiterhin auf eine Lösung für Montag hoffen würde, hätte ich längst aufgelegt.
»Musst du noch Medikamente nehmen?«
Voll aufs Kreuz gelegt! Einen überrumpelten Moment lang kann ich nicht atmen, mich nicht bewegen, starre auf die schwarze Farbe auf grauem Grund. Wut überrollt mich. Beim heiligen Meliharge, was will ich Trisha dafür wehtun! Dafür, dass sie mich so was Privates fragt! Will mir wehtun, dass sie von dem Makel weiß, den ich der Frau meines Lebens nicht mal beichten werde, wenn die Erde schmilzt. Wozu auch? Nora verlässt mich eh irgendwann, wenn ihr das mit mir und unserer Sparflammenbeziehung zu bunt wird. Wird mich für die vertane Lebenszeit verfluchen und vermutlich fast so sehr hassen wie ich mich. Immerhin wird sie mich nicht bemitleiden. Das ist mein einziger Trost. Weil sie nie davon erfahren wird.
Die Gewissheit, dass es ohne meinen Lieblingsmenschen wieder duster wird, verfinstert meine Stimmung vollends. »Nein.« Das Wort belle ich harsch heraus, weiß gar nicht mehr weshalb. Es ging um Medikamente, richtig? Was interessieren die mich? Die gelten für normale Menschen ohne Energiekerne in eine andere Dimension! Weil ich ahne, dass Trisha nachsetzen will, schieße ich das Nächstbeste raus, womit ich sie verletzen kann: »Was sagen deine Eltern zu deinem neuen Namen, Patrick?«
Ihr kurzes Auflachen klingt schrill. »Ein freundliches Fick-dich! Dass ich mit zweien von euch aber doppelt Arbeit habe, geht mich was an. Ich bin nur ich. Ich kann zwar zaubern, aber ich bin urlaubsreif.«
Das letzte Wort kippt einen Schwall kaltes Wasser über meinen heißen Zorn. Trisha ist unabdingbar für Noras Sicherheit. Sie ist es, die die iPhone-Updates einspielt. Sie hat die Überwachungssoftware auf dem Handy ihrer besten Freundin installiert und garantiert uns sichere Datenverbindungen mit einigen Sonderspielereien wie verdeckte Anrufe und unsichtbare Nachrichten. Allein, dass ich in meinem Keller telefonieren kann, ist ihr Verdienst. O ja, sie ist eine Nervensäge, aber die Beste ihres Fachs, ohne deren Hilfe ich mehr als aufgeschmissen wäre.
»Was heißt das?«, frage ich alarmiert.
»Dass an dem Mädel bereits mehr Tracker hängen als Wimpern. Dass sie das nicht weiß und ich mich damit strafbar mache. Weil sie kein schwarzes Ziel ist. Mal davon abgesehen, hacke ich seit Wochen gegen die Mafia, nicht gegen den Ortsverein. Ich habe ein Pensum wie eine ganze IT-Abteilung.«
Ich schüttele den Kopf. »Wie viel mehr willst du?« Scheiße, von mir aus zahle ich ab jetzt in schwarzen Diamanten!
Trisha stöhnt. »Du weißt, dass es nicht darum geht. Und dass ich fast alles für sie tun würde. Aber ich mag mein Leben. Hast du eine Ahnung, was die im Gefängnis mit Leuten wie mir anstellen?«
»Willst du aussteigen?« Mein Puls jagt hoch.
»Ja. Aber versprochen ist versprochen. Und dafür will ich weniger Arbeit. Damit die Fehlerquote null ist.«
Fuck. Getroffen reibe ich mir mit dem Griff der Magnum die Brust. Wie soll ich ihr weniger auftragen, wenn wir eigentlich mehr von ihr benötigen? Nur durch Noras eingesammelten QR-Code und Trisha kam ich an das Servergebäude, das uns zu Chlodwigs Offshore-Firmen brachte. In Italien, Spanien, Frankreich, England … Abtauchende Pilze, sobald wir sie ansteuerten, die wir aber ohne IT-Expertise niemals so schnell gefunden hätten. Und da sind mehr Firmen und dahinter stehen Menschen, ich weiß es. Wir brauchen nur endlich mal wieder einen Fuß in der Tür und Glück.
»Und ich will mich darauf verlassen können, dass du wieder voll dabei bist«, fährt sie fort. »Nicht wie in den letzten Wochen.«
Ungläubig reiße ich bei ihren Worten die Augen auf. »Was soll das bedeuten? Ich bin immer dabei!« Selbst wenn wir kein starres Boss-Angestellten-Verhältnis führen, habe ich das noch nie aus ihrem Mund gehört!
»Ach ja? Und vorgestern, als ich dich nicht erreicht habe? Du hast verpasst, dass sie die ausgebrannte Limousine vom Bauhof verschrottet haben. Mal davon abgesehen, dass meine Hauptaufgabe mittlerweile darin besteht, Barbie die Technik zu putzen!«
In mir rotiert es erneut. Jetzt hat sie mich! Ich kann der größte Kackarsch sein, aber ich bin ein zuverlässiger Empfänger. Ich will zuverlässig sein. Und muss gestehen, dass sie recht hat: Im Gegensatz zu damals, als ich nur Dates hatte, gönne ich mir jeden Tag handyfreie Nora-Zeit. Eine egoistische Fahrlässigkeit für jemanden wie mich. Aufgewühlt denke ich an die GPS-Sender und Noras neue Apple-Ausstattung inklusive einiger Taschenkameras, die Trisha ebenfalls meint. Absolut nötige Ausrüstung für eine TV-Journalistin, der meinetwegen alles gehackt und zerstört wurde, weshalb ich – zugegeben – ein bisschen im Kaufwahn bin.
»Sie ist erst mal versorgt, danke«, entgegne ich knapp, streiche damit die Mixed-Reality-Brille. »Der Rest ist meine Sache, das kriege ich hin.« Ich weiß nur nicht wie. »Und nenn sie nicht so.«
Trishas Schnurren wird weicher als sonst. »Schätzchen, sie ist ne Barbie. Dein Traum von einem Leben, das du niemals haben wirst. Das ist jetzt nichts gegen dich. Ich erinnere dich nur erneut an Salisbury. Daran, dass ich bis heute nicht weiß, wer zur Hölle du eigentlich bist und es auch nicht wissen will, weil ich dann noch tiefer in der Scheiße stecke. Und daran, dass ich nächste Woche achtundvierzig werde. Auch unsere Konstellation ist kein Bund für die Ewigkeit. Die Codes entwickeln sich weiter, und seitdem ich nicht mehr an der Quelle arbeite, versiegt mein Wissen. Du musst damit rechnen, dass ich irgendwann nur noch die Phishingperle bin.«
Keine Ahnung, was mich mehr aufwühlt. Ihre brutale Ehrlichkeit, dass ich meine gesamte digitale Schlagkraft auf sie setze, weil ich keinem anderen ITler auf der Welt blind vertrauen würde. Oder ob es mein Triggerwort mit dem S am Anfang ist, das ich mir am liebsten sofort wieder aus dem Gehörgang reißen will.
Verpiss dich, Verzweiflung!
»Also kein Gerichtsbescheid.« Mein Bellen ist düsterer, als ich will. Letzten Endes sagt sie mir nur die Wahrheit, was sie mir geben wird und was nicht. Einer der Gründe, weshalb ich ausschließlich sie will. »Danke für das Gespräch.«
»Nichts für ungut. Und sorry dafür.«
»Ja.« Dieses Wort speie ich so freundlich hinaus, wie ich kann. Das komplette Pink, würde Nora jetzt sagen. Dabei trete ich mit dem Fuß in die Luft, reiße mir das juckende Ärgernis aus dem Ohr und lege auf.
Fuck! Fuck, fuck, fuck!
Mein Finger zuckt am Abzug, meine Gedanken tanzen. Auch weil bleierne Müdigkeit schon wieder auf meine Schultern drückt. Aber ich gebe nicht auf. Ich schaffe das!
Mit einem wedischen Schlachtruf katapultiere ich mein Smartphone auf die Pritsche, klaube mir den Gehörschutz vom Hals. Einer meiner Vorteile, die ich nicht verspielen darf: Die meisten Menschen dieser Welt hören wie ein Greis, idiotische Kopfhörernutzung sei Dank. Deshalb gebe ich mir laute Situationen möglichst selten. So viel sie mir an Schulbildung voraushaben, an Technik, Kultur, Orientierung und überhaupt allem inklusive einem Plastikpass und einer glitzernden Zukunft samt Frau und Familie, so gut muss ich meine wenigen Vorteile pflegen.
Weil der schreiende Frust in mir jedoch jegliche Logik niedermetzelt, feuere ich, ohne mich zu positionieren. Meine Nulllinie kenne ich, aber die ist mir egal. Vorbereitung ist mir egal. Deshalb ballere ich im wahllosen Drehen auf meine aufgemalten Kreuze, 1, 2, 3, 4 … Lasse mir keine Zeit zum Zielen, bis der beißende Qualm aus der Mündung in meinen Augen brennt und das leere Magazin klickt. Erst jetzt atme ich wieder, verlagere das Gewicht korrekt in meinen Schwerpunkt und spüre den Puls bis in meine Ohren trommeln. Sofort reiße ich mir den Gehörschutz vom Kopf, horche in die Stille mit den knirschenden Partikeln unter meinen Sohlen, linse zu meinem Handy.
Mein Ernst? Zehn Sekunden Gehörlosigkeit und ich mache mir Gedanken, ob meine Freundin angerufen hat?
Scheiße, ich habe eine Freundin!
Die beste der Welt, die mir jeden Tag ihre Lebenszeit schenkt. Momente, nach denen ich mittlerweile so süchtig bin, dass mein Kopf und Penis dauerblockiert sind und es geil finden.
Frustriert katapultiere ich den Bügel auf die Pritsche, ignoriere mein Smartphone mit aller mir möglichen Macht und kontrolliere die Einschusslöcher. Fünf Treffer, zwei Beinahetreffer, zwei Schüsse ins Nirwana. Katastrophal!
Wie schlecht willst du eigentlich werden?, höhnt mein Erzeuger, der mich meinen anderen beschissenen Ahnen sei Dank nie wieder in echt verhöhnen kann.
Mit einem Fluchen sichere ich die Waffe, werfe sie ebenfalls auf die Pritsche. Normalerweise erdet mich das Schießen. Damit fokussiere ich mich neu, wenn mein inneres Gleichgewicht schwankt und ich keine Kampfsportklitsche finde, in der ich bisher nicht war. Aber jetzt steckt Trishas spitzer Keil in meinem pochenden Schädel. Salisbury. Mit zunehmendem Puls denke ich daran, dass ich ein Arsch bin. Und daran, dass ich am Montag im Arsch bin, denn ich habe keinen Personenschutz organisiert und Chlodwig läuft weiterhin frei herum. Was ist, wenn er auf eine günstige Gelegenheit wartet? Wenn er Nora erneut aufgreift, nur weil sie allein unterwegs ist?
Noch was?
Ich ächze. Ja: das Tier hinter der Schallschutzwand. Es ist nur eins, seit drei Wochen schon. Seitdem Nora von diesem Verrückten mit dem Pseudonym Chlodwig entführt wurde, der meinte, er würde mit einem Kastengleichen von mir Geschäfte machen, und ich das nach Hause berichtet habe. Seitdem bleibt es verschwunden.
Das ist nicht gut, das ist nicht abgesprochen, Ty!
Ich stöhne. Auch weil der Schmerz vom Nacken hoch zwischen die Ohren zieht. Bedeutet, ich muss nach oben und mir eine Kopfschmerztablette aus dem Bad holen. Aber da könnte ich meinem Lieblingsmenschen mit einer Stimmung begegnen, mit der sie mich nicht sehen soll. Gleichzeitig bin ich müde, so fucking müde …
Erneut gleitet mein Blick zur Pritsche. Seitdem ich nicht nur arbeite, sondern zeitgleich auf Nora aufpasse und mir die Schlafenszeit wegvögele, komme ich auf keine einzige REM-Phase mehr am Tag. Nicht mal mehr Flashbacks habe ich, so wenig schlafe ich. Das mag bei normalen Menschen in Ausnahmesituationen funktionieren, aber ich muss immer hundert Prozent geben. Ich will nicht schuld sein, wenn irgendwas schiefgeht. Bin dennoch gefangen in der Ineffizienz meiner – unserer – Recherchen. Als renne ich in einem Rad mit kaputten Sprossen, dessen Antrieb nicht mehr ich bin.
Passend summt mein Smartphone. Der Nora-Ton. Aber nicht der süchtigmachende, der mir eine heiße Nachricht oder einen Wir-haben-schon-seit-einer-Stunde-nicht-miteinander-gesprochen-Anruf ankündigt. Sondern der, der mir verrät, dass sie eines ihrer Schuhpaare von der Induktionslade genommen hat und sich aus dem Gebäude bewegt.
Was zur Hölle? Das ist nicht normal, denn es ist kurz vor 18 Uhr. Bedeutet, sie ist mit den Recherchen in ihrem Büro in der 4 fertig und verabschiedet sich vorerst in den Feierabend. Joggen war sie heute schon, Martys Boxhalle besucht sie generell montags und donnerstags, heute ist Samstag. Gleich ist Abendessen, geplant haben wir nichts.
Sofort knallt mir das Adrenalin bis zum Scheitel. Bleib cool! Ihr geht es gut! Dennoch reiße ich mein Handy an mich und schiebe mit Wucht die Tür zum Vorraum meines codegesicherten Kellers auf. Das gegen die Mauer prallende Metall hallt unheilvoll.
Ruf sie nicht mit Panik in der Stimme an!, brülle ich meinem ausrastenden Ich zu, da wähle ich bereits. Als sie abnimmt, säusele ich das Erste, was mir einfällt. Ich kann ihr ja schlecht beichten, dass ich ihre Schuhe tracke, weil mich ihre Entführung fast gekillt hätte. »Hi, Herzchen.« Wow, als zitterten mir keine Eier! »Na? Ist das Essen schon warm?«
Weil ich wissen will, wo genau sie langläuft, stelle ich auf laut und checke ihre Position. Sie rennt, ihr Puls liegt trotz ihrer guten Kondition bei 120. Ja, ich kontrolliere auch permanent ihr Sportarmband. Ein weiterer Punkt auf der Sag-es-ihr-besser-nicht-Liste, denn A will ich, dass das Gerät an ihrem Arm bleibt, B will ich nicht, dass sie Angst bekommt, nur weil ich welche um sie habe. Stattdessen will ein komplizierter Teil von mir, dass sie der glücklichste, unbekümmertste – aber bitte auch vorsichtigste! – Mensch der Welt ist. Nach Trishas Definition ist sie also wirklich eine Barbie. Und so lange ich Superwichser mit ihr spielen darf, bleibt sie in der Verpackung.
»Ahhh!«, ruft sie, die von 10 km/h auf 14 beschleunigt, weshalb ich es nicht länger in meinem Keller aushalte. Mit einem Satz nach vorn reiße ich die Sicherheitstür auf und stürme zur Treppe in Richtung der Ausgänge. »Ich habe was nicht mitbekommen!«, jault sie.
Was ist es?!
Dennoch schweige ich cool, warte ihre Erklärung ab. Und gehe die Möglichkeiten durch: Hinterherjoggen? Ein Auto nehmen? Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass sie in dieser Ecke von London im Hellen von Kriminellen aufgegriffen wird, riskiere ich nichts. Diese Frau steht für mich nicht nur für Sex und Frieden, sie ist pures Licht, wo alles nur scheiße ist. Ich bin echt am Arsch, denn natürlich wird ihr irgendwann was passieren. Sie lebt, also stirbt sie auch irgendwann.
»Hm?«, raune ich, weil ich es nach zwei Sekunden und gefühlten hundert Jahren doch nicht mehr aushalte, und entscheide mich für ein Auto. Sie hat schon das Ende der Straße erreicht und scheint nicht vorzuhaben zu stoppen.
Meine Sonne flucht. »Ich muss nach Oxford. Junggesellinnenabschied von Helena. Ich dachte, der ist nächste Woche, aber Helena hat ihn gestern spontan vorverlegt, weil sie in zehn Tagen keine Augenringe auf den Fotos will. Ich habs vercheckt und muss in fünfzehn Minuten in Travishs Taverne sein!«
Mit quietschenden Sohlen halte ich vor meinem Schlüsseltischchen in der Parketage, erstarre. Was?! Ich muss schlafen! »Mein Schatz, das wird ein bisschen knapp. Wie kommst du hin?« Die sechzig Meilen rennen? Bitte keine Bahn! In Gedanken schlage ich mich. Wäre sie mit einem vernünftigen Kerl zusammen, würde er sie bringen oder ihr sein Auto geben. Und so hat sie mich nicht mal gefragt. Weil sie weiß, dass ich Nein sagen müsste.
Der Keil in meinem Kopf ist nun doppelt so groß. Am liebsten würde ich mir alles ab der Schulter abreißen.
»Ich habe mir schon ein Uber bestellt. Ich lasse es krachen.«
Ich benötige einige Augenblicke, um das Grauen zu fassen. Ein Uber ist ein illegales Taxi, oder? »Lass mich was buchen«, flehe ich, klaube mir einen der Schlüssel und sprinte durch meine Fahrzeuge zum vordersten. Der tiefe 2-Sitzer steht schon mit der Schnauze in Richtung des ersten Sicherheitstores. »Bitte!«
»Ein Helikopter wäre nice. Oder eine Zeitmaschine!«
Das erste würde ich ihr kaufen, wenn London keine komplizierte Flugverbotszone hätte, an das zweite mag ich nicht denken. »Ein Limousinenservice«, schlage ich vor. Mit Panzerscheiben. »Der könnte in zehn Minuten bei dir sein.« Keine Ahnung, ob das stimmt, aber ich tippe mich bereits durch meine Kontaktliste. Vorbei an dem Sekretär, den mir meine Bank als Gratisservice gestellt hat, und hin zu SW Security. Die haben zumindest gescheite Autos.
»Mein Liebling, dieses Uber ist eine Limousine«, zirpt sie. Im Hintergrund höre ich das schnelle Klacken ihrer Absätze auf dem Asphalt. Garantiert die schwarzen Pumps mit den roten Sohlen, die ich ihr zum Einzug geschenkt habe. Einer der besten Momente meines Lebens. »Zumindest eine für sehr kleine Menschen«, ergänzt sie.
Also keine Limousine, sondern eine Chinabüchse. Das ist nur ihr Humor.
»Du kannst mir aber was für den Rückweg buchen, wenn du willst. Und …«
Bei ihrer plötzlichen Sprechpause mit dem stoßweise gehenden Atem, weil sie zu einem Sprint ansetzt, horche ich auf. Alarmiert reiße ich die Wagentür auf und hechte auf meinen Sitz. Mein Puls schießt höher als ihrer.
»Ähm …«
Ich starte den Wagen und drücke aufs Gas.
»Helena wird vielleicht fragen, ob ich wen mitbringe.«
Mein Fuß rammt so hart auf die Bremse, dass mein Oberkörper auf das Lenkrad prallt, das Handy in der schmalen Ritze zwischen Konsole und Frontscheibe landet. Es scheppert.
Fuck!
»Bist du noch da?« Das höre ich wie durch eine Wasserwelle.
Mir die Rippen reibend, fische ich nach meinem Samsung und reiße es ans Ohr. »Ja«, murmele ich, gefangen zwischen Schweißperlen, weil ich sie nicht im Blick habe, und Schweißperlen, weil ich für einen Augenblick das Gefühl hatte, sie hätte mich gefragt, ob ich derjenige sein will. Dabei kann das nicht sein, denn sie weiß das Gleiche wie ich: Dass ich tausendmal Ja gesagt hätte, wenn ich nicht ich wäre. Wenn ich nicht auf ewig eine unbekannte Anzahl an nachwachsenden Feinden hätte. Wenn ich nicht schuld daran wäre, dass ich sie vor drei Wochen aus den Trümmerteilen eines Mafiafahrzeugs ziehen musste, mit Gehirnmasse an den Wimpern und fremdem Blut bis auf die Unterhose. Wenn ich mein Scheißleben mit einem Fausthieb zu einem normalen machen könnte, damit sie eine Chance auf Glück an meiner Seite hätte. Aber das kann ich nicht. Nie mehr.
Ich muss das Lenkrad festhalten, um nicht zu zittern. Obwohl sie sich noch gar nicht von mir getrennt hat, sammeln sich Schatten in mir. Diese Hochzeit ist der Anfang vom Ende. Die Zusammenkunft mit all ihren Leuten, die ihr die Augen öffnen wird. Oder ist es heute schon so weit? Nora lügt nicht, und ich bin die Lüge ihres Lebens.
»Okay. Was sagst du?« Ihre Worte sprudeln hastig hervor, die Vokale tremolieren leicht. Nicht weil sie immer noch rennt, sie verlangsamt auf unter 10 km/h. Sie ist nervös. Auf dem Display sehe ich, dass sie an der Kreuzung des Book Stores hält, an der der übliche Londoner Stadtverkehr beginnt. »Also ich weiß, dass unser Deal eine Verschwiegenheitsklausel beinhaltet«, ergänzt sie, »aber wir sind seit ein paar Wochen zusammen und es läuft fantastisch, und wir sollten deshalb schauen, wie wir zukünftig auftreten wollen.«
Benebelt schüttele ich den Kopf, starre mein eigenes vages Spiegelbild in der Frontscheibe an. Bin geschockt, dass sie mich das fragt, obwohl meine Antwort so offensichtlich ist. Dass ich kein Nein herauskriege. Ebenso davon, was ihre Frage in Wirklichkeit bedeutet.
Fuck.
Das ist das ganze Problem, oder? Dass ich mittlerweile so süchtig nach ihr bin, nach ihrer Hoffnung, dass ich sie verbrauche. Ich fresse mich jeden Tag an ihr und ihren Strahlen satt, bis nichts mehr von ihr übrig ist. Weil ich kein Mann für die Zukunft bin und sie es dennoch vergessen lasse. Weil ich es liebe, wenn sie es vergisst, genauso wie ich es liebend gern vergesse. Dabei hat sie nur dieses eine Leben. Und sie hat darin alles Gute verdient, was sie nur kriegen kann. Eine Familie, Kinder – wenigstens sie soll all das haben, wenn es für mich nur ein Traum bleibt.
Und ich habe nicht mal den Arsch in der Hose, ihr abzusagen. Weil das ein Schlussstrich ist. Weil ich eine Heidenangst davor habe, dass sie geht und ich wieder nur ich bin. Das hat nichts mit Liebe zu tun. Das ist purer Egoismus.
Grauen erfüllt mich. Ich bin keinen Deut besser als meine Eltern. Auch die haben sich lieber zerstört, als zu lieben. Ich bin ihr Erbe. Seit fast drei Wochen bereits. Da haben andere in meiner Dimension längst geheiratet.
Ich räuspere mich.
»Bevor du mir jetzt wieder mit deinem Job und Kriegsgedöns und so kommst …« Da sie unverändert neben dem Book Store steht, sucht sie anscheinend nach ihrer Rikscha. »Helenas Hochzeit ist absolut superperfekt, um einsam unter Leuten zu sein.« Ich schüttele den Kopf, aber sie zählt die Banalitäten auf, als ergäben sie eine Pro-Liste: »Geschlossene Gesellschaft. Ein Luxus-Cottage in der Pampa mit eigener Security am Einlass. Dreihundert Gäste, strenger Zeitplan, eine Braut als unangefochtener Superstar. Perfekt zum Untertauchen, und ich habe Zugang zur Gästeliste, falls du vorher drüberschauen willst.« Als merke sie, dass ich mich innerlich winde, redet sie schwallartig weiter. »Es gäbe nicht mal Fotos von dir oder uns, wenn wir bei dieser Regel bleiben. Denn ich bin diejenige der Brautjungfern, die die Fotofestplatte vom Fotografen übernimmt. Eigene Bilder von Gästen gibt es auch nicht, die verbietet Helena, weil sie nirgendwo schlecht aussehen will und Smartphonezombies hasst. Keine meiner Besten hat Zeit, mehr als zehn Minuten mit dir zu sprechen, und wir deklarieren dich sowieso als meinen brandneuen Freund. Nicht mal Naomi weiß nämlich, dass ich bei dir wohne, die denkt bis heute, wir lassen es langsam angehen.« Zum Schluss zittern ihre Stimmbänder vor Aufregung. Ich höre es wie durch einen Verstärker, der mir ins Trommelfell und Herz schneidet. Nora so zu hören, tut mir weh.
Wann bringe ich ihr Licht zum Flackern? Jetzt schon? Ich wünschte, ich könnte sie jetzt zum Strahlen bringen. Doch ich bin nur der schweigende Schatten.
»Helenas Megasause ist ein perfekter Einstieg, sich das erste Mal als Paar zu zeigen, ohne Beachtung ausgesetzt zu sein. Für ein erstes Draußendate ohne echtes Draußen. Ich bin mir sicher, dass das klappt.« »Sag bitte, bitte, bitte ja!«, klingt nach. »Ich möchte dich vorstellen!«
Der Hieb ihrer Hoffnung trifft mich frontal, sodass meine Kopfschmerzen explodieren. »Herzchen«, krächze ich, poche mir mit der Faust gegen die Stirn. »Das ist schwer, am Telefon zu diskutieren.« Was ein Gesäusel! Ich kenne die Antwort!
Sag ihr ab, du Penner! Lass sie frei!
Keine Chance. Meine Zunge verklebt am Gaumen. Gleichzeitig schnürt mir ein weiterer Gedanke die Kehle zu: Sie würde doch von sich aus gehen, oder?
Bis jetzt habe ich mich immer darauf verlassen, dass sie diejenige sein wird, die geht. Schließlich liebe ich sie mehr als sie mich. Aber dann hätte sie mir diese Frage nicht gestellt. Sie macht sich wirklich Hoffnung. Sie ist Nora, und Hoffnung gehört zu ihr wie die Sonne. Und ich schüre sie mit jedem Tag mehr, indem ich uns gemeinsam in meine Traumwelt einlulle, die ich mir gebaut habe. Obwohl Salisbury meine dreckige Wirklichkeit ist. Der Keller ist es, die klaffenden Einschusslöcher in den kalten Wänden, die wie ich sind. Jetzt zittere ich wirklich.
»Das mit deiner Fakeidentität, das kriegen wir auch hin. Wir haben noch zehn Tage Zeit für Ideen. Und ich habe schon welche.«
Ich atme Entsetzen. Mein gefälschter Pass ist nicht mal mein Hauptproblem! Bei meinen Ahnen, was kann ich tun, damit ich sie jetzt nicht auf offener Straße verletze? Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, dass ich ihr nicht wehtue? Wie soll ich mich denn von ihr trennen, wenn ich quasi besessen von ihr bin?
»Mein Schatz …« Sag Nein! Tu es, Idiot!
Sie flucht. »Können wir weitertexten? Bitte? Mein Uber ist da.«
»Ich muss leider arbeiten. Ich kann nicht«, lüge ich. Wie Gift breiten sich die feigen Worte um mich aus. Vor Zorn auf mich balle ich die Fäuste, bis es wehtut. Würde sie gern gegen die Frontscheibe trümmern, aber ich brauche diesen verdammten Wagen noch. Würde gern die Zeit anhalten – zurückdrehen am liebsten, Jahre nach hinten – und Nora ganz anders kennenlernen. Als jemand, den man lieben kann. Mit dem man keine Scheißgespräche führen muss. Und dieses Gespräch wird kommen. Der Moment, wenn wir getrennte Wege gehen, und wenn der Traum, den ich mir mit ihrer Lebenszeit geklaut habe, endgültig vorbei ist. Ich hasse es jetzt schon so sehr, dass ich schreien will.
Zeig dir selbst, wie sehr du sie liebst, und lass sie frei.
Erschöpft lasse ich die Stirn aufs Lenkrad sinken. Tonnenschwer senkt sich die Müdigkeit auf mich, trotz meines rasenden Herzens, trotz des Adrenalins. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal lag, aber das war nicht zum Schlafen. »Sitzt du im Taxi?«, murmele ich matt, weil sich ihre Hintergrundgeräusche geändert haben.
»Ja.«
Ich horche. Nichts. Instinktiv weiß ich, dass sie auf der Rückbank Platz genommen hat und auf mich wartet. Das ist gut. »Fahrer oder Fahrerin?«
»Erstes.«
Ich balle die Fäuste ums Lenkrad. »Hast du deinen Elektroschocker dabei?«
»Nein.« Kein Schmunzeln. Aber auch ein sicheres Nein, keine Angst.
Ich überlege, die Stirn weiterhin am kühlen Leder. »Fühlst du dich gut im Wagen?«
»Ja.«
Hmpf. Besser als nichts. Also halte ich bei der Verfolgung Abstand. Vielleicht ist zwischendurch ein 3-Minuten-Powernap oder ein Stopp bei einer Apotheke drin. »Okay«, raune ich, bemühe mich, nicht allzu verzagt zu klingen. Nora soll nicht wissen, dass ich verzweifelt bin. Dass ich überfordert und mittlerweile sogar schweißnass bin. Kein cooler Krieger, nur jemand, der ich nicht sein will. Ohne sie bin ich wieder nur Scheiße. Der Tag ist gekommen.
Anhand ihres gespannten Schweigens verstehe ich, dass sie gedanklich zu mir herübersieht. Wenn sie könnte, würde sie mir bis in den Herzmuskel sehen, nur Nora Thomson kann das. Mist!
Absichtlich schwinge ich meine Stimme zu genau passender Heiterkeit auf. Ich will nicht, dass sie traurig ist. Was total absurd ist, denn ich zerstöre sie ja. »Ich wünsche dir viel Spaß mit deinen Mädels. Ich muss auflegen, die Pflicht ruft. Sims mich an, wenn was ist.« Aber bitte nicht wegen der Hochzeit!
Bevor mir ein »Ich liebe dich über alles« herausrutscht oder sie was entgegnen kann, lege ich auf, starre einige Sekunden gegen das geschlossene Rolltor meiner Parketage. Tja. Fragt sich nur, von welcher Pflicht ich gesprochen habe. Eigentlich wartet da auch noch dieses Tier auf mich, hinter dem ich herrecherchieren muss – und nicht nur dem –, während ich ihr hinterherfahre und gleichzeitig ihre Befreiung plane.
Zu.
Viele.
Scheiß!
To-Dos!
♥